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: Stress

Anhand von Erfahrungsberichten eines Mobilitätstrainers und blinder Personen werden die Themen Gefahren durch Nullabsenkungen an Straßenquerungen, permanente Konzentration und Verlust der Orientierung beim Ausweichen eines Hindernisses oder bei Körperdrehung behandelt. Die Fotos zeigen Beispiele von Hindernissen und Beispiele von Verlegungen, die eher zu Gefahren als zur sicheren Orientierung führen können.

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Erfahrungs­berichte

„Der Übergang vom Gehweg zur Straße ist mehr eine Ahnung als was anderes. Das Problem für uns ist tatsächlich diese Nullabsenkung.“

Ein Mobilitätstrainer schildert seine Erfahrungen

In der Regel nutzen blinde Menschen vertraute Wege, weil das viel weniger Stress ist. Doch auch bei vertrauten Wegen gibt es Überraschungen, zum Beispiel ist dort plötzlich eine Baustelle mit der ich nicht gerechnet habe; oder den Laden, den ich aufsuche wollte, gibt es nicht mehr. Wenn man seine täglichen Wege die Woche über anschaut, geht bzw. fährt man meist seinen üblichen Arbeitsweg oder man nutzt bestimmte Routen, bei denen es nicht so viel Konzentration braucht. Oder man hat eben Lust, was Neues zu erkunden. Aber man muss sehen, dass die Orientierung eine permanent hohe Konzentration erfordert und für einen blinden Menschen viel mehr Stress bedeutet.

Ein Unfallbericht

Aus der Zeit, als ich noch sehen konnte, steckt es noch so drin: ich drehe mich, wenn ich hinter mir etwas höre. Das ist ein alter Reflex, den muss ich wegtrainieren. Denn in dem Moment, wo ich mich jetzt bewege, und sei es nur eine Achtel Drehung, verliere ich die Richtung. Einmal bin ich aus dem Zug ausgestiegen und Richtung Ausgang gegangen. Da höre ich eine Stimme hinter mir: „Hier ist der Ausgang!“ Daraufhin hab ich mich wohl mit dem Oberkörper zu der Stimme hin gedreht und überlegt, ob ich auf dem falschen Weg bin und mir jemand helfen will. Ich war aber gar nicht gemeint und wollte meinen Weg also fortsetzen. Der Abstand vom Leitstreifen zur Kante ist schmal und die Struktur der Steine ist mit dem Fuß nicht zu fühlen. Ich bin wohl etwas aus der Richtung gekommen, mit einem Fuß abgerutscht und hab mich erheblich verletzt unten im Gleisbett wiedergefunden. Niemand ist immer zu 100 Prozent konzentriert; für einen Blinden kann eine kleine Unachtsamkeit oder Ablenkung aber schon fatale Folgen haben.

Erfahrungen mit Hilfsmitteln zur Orientierung

1. Wenn ich einem Hindernis ausweiche, ist die Orientierung schnell weg. Ich habe jetzt einen Gürtel beantragt, der mit Magneten versehen ist und dort vibriert, wo Norden ist. Blinde, die damit schon länger arbeiten, meinen, sie kriegen damit einen zusätzlichen „Magnetsinn“. Sie können damit auch z.B. auf großen Plätzen besser geradeaus gehen oder sich nach einem Schlenker zurück auf die ursprüngliche Richtung orientieren. Vor allem bleibt der Hörsinn frei, da die Richtungsinformation über einen anderen Sinn kommt. Der ist allerdings noch nicht entwickelt und geschult. Aber es ist eben ein zusätzlicher Sinn.

2. Es ist auch eine Konzentrationsleistung: Man muss hören und tasten und z.B. Ecken zählen und darauf achten, nicht in eine Einfahrt zu laufen. Es gibt auch die Möglichkeit, sich mit einem Kompass zu orientieren. Aber dann muss ich auch Schritte zählen. Wenn ich fünf Schritte nach Süden laufe, etwas seitwärts gehe und dann 10 Schritte nach Norden – wo stehe ich denn dann?

3. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass manche Menschen den Langstock gar nicht mehr als Blindenstock erkennen. Mittlerweile laufen ja sehr viele mit den unterschiedlichsten Stöcken herum.

Weitere Erfahrungsberichte betroffener Personen

1. Wenn ich von Rossmann komme gehe ich ja immer Richtung Bus, und da fängt meine Schwierigkeit an: Da ist Teer oder Beton, dann kommt der Kantstein, den man aber nicht fühlt weil er abgesenkt ist. Kann man da nicht diese Rippenplatten reinlegen? Dann würde man fühlen: Oh, da ist ja die Straße. Mir ist es schon ein paar Mal passiert, dass ich plötzlich Autos zu beiden Seiten hörte. Ohne es zu merken, stand ich auf der Straße. Da ist leider gar nichts markiert. Passanten sind schon hinter mir hergelaufen und dann mit mir rübergegangen.

2. Auf der Holtenauer Straße ist oben ein großer Blumenladen, der seine Blumen immer weiter auf den Gehweg stellt. Einmal bin ich dagegen gelaufen und mit dem Stock einer Frau an die Beine – nützt nichts, ich muss weiterleben damit.

3. Neulich bin ich in herüberhängenden Zweigen hängen geblieben und habe meine Jacke beschädigt. Wenn die Grundstücksbesitzer das im Blick hätten und rechtzeitzeig zurückschneiden würden; das wäre für uns eine große Hilfe.

4. Ich weiß ja, wo die Bushaltestellen sind, dafür bin ich ja schon 75 Jahre in Kiel. Bloß mit dem Umbau ist es schwierig, zum Beispiel an der Holstenbrücke. Wenn ich von hier zum Alten Markt fahre, würde ich die Linie 11 in Richtung zur Holstenbrücke nehmen. Nun muss ich wegen der Baustelle am Walkerdamm aussteigen und über die Straße zum Alten Markt gehen. Da ist aber keine Signalampel - wie komm ich da rüber? Einen Knopf gibt es nicht.

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